Einblicke aus unserem Workshop „Orchideenkompetenz“ auf der Jahrestagung 2025 der Milton-Erickson-Gesellschaft für Hypnotherapie
Hochsensibilität ist eine tiefgreifende Persönlichkeitseigenschaft, die das Leben auf besondere Weise prägt. Das Thema beschäftigt uns persönlich schon ein Leben lang. 2023 haben wir dazu das Hochsensibilität und seelische Gesundheit – Praxisbuch herausgebracht. Und nun im März durften wir auf der Jahrestagung der Milton-Erickson-Gesellschaft 2025 einen Workshop halten. Diese Jahrestagung ist das zentrale jährliche Treffen der Hypnotherapie-Szene im deutschsprachigen Raum. Und so erarbeiteten wir einen Workshop speziell über Hypnotherapie für hochsensible Menschen.
Dafür haben wir noch einmal gründlich recherchiert, wie die Studienlage sich in den zwei Jahren verändert hat, seit unser Buch fertiggestellt wurde; also was die Wissenschaft heute Neues über Hochsensibilität weiß. Und dann überlegt, was gerade die Hypnotherapie für Hochsensible zu bieten hat.
Hypnotherapie für hochsensible Menschen
Unter dem Titel „Orchideenkompetenz – Hochsensible Menschen in Therapie und Beratung optimal unterstützen mit Hypnotherapie“ stellten wir wissenschaftliche Forschung zu Hochsensibilität und praktische Ansätze für Therapie und Coaching vor.
In der Hypnotherapie ist es üblich, Metaphern zu verwenden. „Orchideenkompetenz“ bezieht sich darauf, dass Hochsensible in der Wissenschaft teilweise als Orchideen bezeichnet werden (dazu unten mehr). Außerdem ist die wissenschaftliche Seite der Hochsensibilität im psychologischen Bereich und der Psychotherapie oft zu wenig bekannt; es handelt sich sozusagen noch eine Orchideenwissenschaft. Genau deshalb haben wir den Workshop entwickelt.
In diesem Artikel teilen wir nun zentrale Inhalte und praktische Impulse aus dem Buch und dem Workshop, die du direkt für dich und deinen Umgang mit hochsensiblen Menschen nutzen kannst. Egal ob du Fachperson bist oder einfach an psychologischen Themen interessiert.
Was bedeutet Hochsensibilität wirklich?
Vielleicht hast du schon Sätze gehört wie: „Jetzt sei doch nicht so empfindlich!“ oder „Reg dich nicht unnötig auf!“ oder „Du bist so eine Mimose! Mach dir einfach nicht so viel draus.“ – Viele Menschen mit hoher Sensibilität (Hoch-Sensible Personen = HSP) kennen solche Aussagen nur zu gut und haben dadurch früh gelernt, sich als merkwürdig und falsch zu empfinden. Deshalb war die Entdeckung der Hochsensibilität durch Elaine N. Aron so wichtig.
Doch immer noch besteht in der Öffentlichkeit der Zweifel, ob es ein wissenschaftlich fundiertes Konzept oder ein Hype ist. Dabei ist Hochsensibilität ganz klar wissenschaftlich fundiert und längst gut erforscht: Sie bezeichnet eine besonders feine Reizverarbeitung und intensive Wahrnehmung auf emotionaler, sensorischer und kognitiver Ebene. Der Fachbegriff dafür lautet Sensory Processing Sensitivity (SPS).
Hier die Kurzform: Alle Menschen sind unterschiedlich empfindsam für Einflüsse aus ihrer Umwelt. Manche ähneln zarten Orchideen und brauchen eine unterstützende Umgebung, um zu erblühen. Andere gleichen eher den robusteren Tulpen oder dem widerstandsfähigen Löwenzahn. Damit ist keine Wertung verbunden, offenbar sind diese unterschiedlichen Arten der Umweltsensitivität gleich wichtig, denn es gibt sie nicht nur bei Menschen aller Kulturkreise, sondern auch bei vielen Tierarten. Aus der Forschung wissen wir: Hochsensibilität ist keine Krankheit, sondern einfach ein Persönlichkeitsmerkmal.
Wie wirkt sich Hochsensibilität auf die seelische Gesundheit aus?
Für unser Buch haben wir die Studienlage betrachtet und mehrere interessante Fakten gefunden:
- Die erhöhte Wahrnehmungssensibilität kann einerseits zu Stressanfälligkeit, Erschöpfung und Überreizung führen – vor allem in belastenden Umgebungen. Damit sind leider nachweisbar auch mehr seelische Erkrankungen verbunden. So können wir davon ausgehen, dass der Anteil von Hochsensiblen in Therapie und Behandlung höher ist. Und das ist auch gut so, denn:
- Andererseits profitieren HSP überdurchschnittlich stark von günstigen Lebensbedingungen und Unterstützung! Gerade in Therapie, Coaching und unterstützenden Beziehungen können sich Hochsensible gut stabilisieren und weiterentwickeln (Vantage Sensitivity). Denn sie sind auch für das Gute aufnahmefähig und haben damit ein besonderes Potenzial für Kreativität, Empathie, Feinsinnigkeit und inneres Wachstum.
Aus therapeutischer Sicht ist daher ein guter Informationsstand und ein differenzierter Blick wichtig:
Welche Reaktionen sind normale Ausprägungen von SPS?
Welche Symptome deuten auf eine begleitende psychische Belastung hin?
Und vor allem: Gibt es (noch) ungenutzte Ressourcen?
Was ist nun allgemein für Hochsensible zur Stärkung empfehlenswert? Was lässt sozusagen diese „Orchideen“ besonders gut gedeihen?
Praktische Selbstfürsorge für Hochsensible
Damit HSP im Alltag besser gedeihen können, empfehlen wir eine bewusste, erhöhte Selbstfürsorge, die sowohl körperliche als auch seelische Ebenen anspricht. Hier einige bewährte Strategien:
- Atemübungen & Achtsamkeit: z. B. 4/6-Atmung, tiefe Bauchatmung, Selbstmitgefühlsmeditation nach Kristin Neff. Diese helfen, mit der leicht hochkommenden Nervosität und den vielen Ängsten umzugehen, die Hochsensible leicht haben können.
- Bewegung & körperliche Regeneration: regelmäßige Mini-Pausen, mehr Pausen als andere Menschen, wohltuende Bewegung wie Yoga oder Tanzen
- Ernährung & Ruhezeiten: angepasste Ernährung, längere Erholungsphasen in Urlaub und Freizeit,
- Selbsthypnose & Imagination: z. B. Wohlfühlorte innerlich verankern oder etwas wie einen magischen Schutzmantel visualisieren, der Außenreize abhält; insgesamt dafür sorgen, dass die inneren Bildwelten immer mehr unterstützend und aufbauend sind.
All diese Maßnahmen helfen im Leben regelmäßig dabei, das überreizte Nervensystem zu beruhigen und die eigene Resilienz zu stärken.

Warum Hypnotherapie besonders geeignet ist für hochsensible Menschen
Und warum jetzt Hypnotherapie?
Die ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit macht Hochsensible besonders empfänglich – genau hier setzt die Hypnose an, die sich auf die Kunst der bewussten und unbewussten Wahrnehmung spezialisiert hat. Dadurch werden Ressourcen gestärkt, Kommunikation achtsam gestaltet und Menschen in ihrer Selbststeuerung unterstützt.
In einer stärkenden Konversation und durch gezielte Trancearbeit hilft die Hypnotherapie für hochsensible Menschen, dass sie ihre starken Wahrnehmungen besser verarbeiten können. Ressourcen werden aktiviert, belastende Erfahrungen können transformiert und positiver im Alltag integriert werden.
Im Workshop mit den sehr interessierten und engagierten Teilnehmenden haben wir gemeinsam einen „Methodenkoffer“ für Behandlerinnen und Behandler erstellt, der z. B. folgende Ansätze enthält:
- Tranceinduktionen & innere Bilder: spezielle Ideen für geeignete Wohlfühlorte, symbolische Schutzräume, kreative Geschichten
- Konversationshypnose: unterstützende, wohlwollende Suggestionen im Gespräch, Würdigung des Erlebens
- Teilearbeit: liebevolle Integration innerer Anteile nach IFS (Internal Family Systems Therapie) oder hypnosystemischem Ansatz
- Selbstfürsorge für Behandler*innen: Achtsamkeitsanker, bewusste Übergänge zwischen Behandlungsterminen, kreative Verarbeitung der Therapieerfahrungen.

Was wir Therapeutinnen und Therapeuten, Berater*innen und Coaches empfehlen: Besonders hilfreich ist es, Hochsensibilität in der Therapie anzusprechen und bewusst zu nutzen – als „therapeutisches Tertium“, also als dritte Kraft im Raum, auf die sich beide Seiten beziehen können. Das heißt, die Hochsensibilität wird als eine Kompetenz betrachtet, die achtsam integriert wird, deren Stimme im inneren Parlament gehört und sogar abgefragt wird. Dazu braucht es Verständnis, geeignete Therapiemethoden und das Vermitteln von Selbstannahme.
Die Voraussetzung dafür ist, als Behandler*in die eigene Empfindsamkeit und Sensibilität ebenfalls zu erkennen und zu integrieren, um auf diese positive Weise auf hochsensible Menschen wirken zu können.
Fazit: Sensibilität als Stärke leben
Durch solche annehmenden, heilenden Schritte können Menschen in der Therapie die Erfahrung machen, dass Hochsensibilität vollständig in Ordnung ist, oft sogar eine Stärke. Das macht es ihnen leichter, diesen Teil ihrer Persönlichkeit nicht mehr wegzuschieben oder zu bekämpfen, sondern immer mehr zu integrieren. Und das ist vermutlich der stärkste Wirkfaktor.
Eine kleine Frage ist vielleicht noch offen: Sollst du dich jetzt mit einer Orchidee identifizieren?! Oder überhaupt mit einer Blume? Nein, das ist gar nicht notwendig. Es ist nur eine Metapher. Wichtig ist zu wissen, dass jede Eigenart ihre eigenen Stärken und Bedürfnisse hat, ob empfindsam, mittel oder robust.
Wir wünschen uns, dass Hochsensibilität nicht länger als Schwäche, sondern als Ressource gesehen wird – in der Therapie ebenso wie im Alltag. Wenn du selbst hochsensibel bist oder mit HSP arbeitest, kann ein aufmerksamker, differenzierter und hypnotherapeutisch fundierter Umgang viel bewirken.
Unser Buch „Hochsensibilität und seelische Gesundheit – Praxisbuch“ bietet dir weitere Einblicke und über 60 Tools zur direkten Anwendung. Wir haben viele positive Rückmeldungen für die Verständlichkeit, Praxisnähe und annehmende Art des Buches bekommen, worüber wir uns sehr freuen. Finden kannst du es bei Amazon oder im Buchhandel – erschienen natürlich im Psy-Press Verlag.
Fazit: Du bist nicht „zu empfindlich“ – du bist genau richtig – und deine Sensibilität ist eine besondere Kompetenz.
Nun interessiert uns natürlich ganz besonders, ob Du schon Erfahrungen mit Hypnose oder Hypnotherapie gemacht hast und wie es Dir damit gegangen ist. Schreibe uns gerne im Kommentarbereich!
Herzliche Grüße
von Birgit Heining
und Johanna Philippi
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